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taz: „Politik, zum Verzehr geeignet“

Seit die Regierung über BSE stolpert, wird Essen endlich wieder zum politischen Akt. Allerdings sollte sich der Verbraucher nicht nur für das deutsche Rind interessieren.

Cäsar war nicht wie Schröder. Cäsar mochte keine Currywurst. Gaius Julius Cäsar, als Welteroberer nicht gerade zimperlich, nahm es mit der Ernährung genau. Fleisch verachtete der römische Imperator als „secundum inopiae subsidium“, als sekundäre Reserve für Mangelzeiten, berichten die Chronisten: „Während seine Truppen in Albanien Mangel an Weizen leiden, wird dieser Zustand ausgesprochen als Hungersnot empfunden, trotzdem Schlachtvieh in Hülle und Fülle zur Verfügung stand; ja, es wird den Soldaten selbst unter diesen Umständen hoch angerechnet, dass sie Letzteres überhaupt aßen.“

Bald könnte es uns ähnlich gehen. Denn was, wenn wahr wird, was Ernährungswissenschaftler bereits vermuten? Dass die Zahl der BSE-Fälle bald in die Zehntausende gehen könnte? Dass die Bedrohung nicht nur vom Rindfleisch ausgeht? Was, wenn Deutschlands verängstigte Konsumenten dann plötzlich Vegetarier werden?

Eins steht jedenfalls fest: Essen ist wieder ein politischer Akt. Nicht nur Kanzler Schröder rettete seine Weihnachtsgans Doretta: Auch Bill Clinton hat schon seinen Thanksgiving-Truthahn begnadigt. Und sein Vorgänger, George Bush senior, ließ sich vor laufender Kamera sogar zu einer Kriegserklärung hinreißen: „Ich mag Brokkoli nicht. Meine Mutter zwang mich, ihn zu essen. Doch jetzt bin ich Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Und ich werde nie wieder Brokkoli essen. Das ist mein letztes Wort.“

Nach dem Mauerfall stürmten DDR-Bürger die Westberliner Supermarktregale, um tonnenweise die „Vereinigungsfrucht“ nach Hause zu schleppen. Der österreichische Außenminister erkannte die Symbolkraft und stellte sich auf den Stadtplatz von Bratislava, um wie im Zoo Bananen an die slowakische Bevölkerung zu verteilen – seht her, so süß schmeckt der freie Markt. Zum Logo für den wirtschaftlichen Aufschwung machte die krumme Frucht allerdings Konrad Adenauer. Er schuf nach dem Zweiten Weltkrieg eine Zollfrei-Sonderregelung und legte damit den Grundstein für ihren Siegeszug in deutschen Landen: Jedem Bürger seine Banane.

Ein Volk ist, was es isst. Die Produktion der Lebensmittel war schon immer politisch. Nur wurde dies lange nicht gesehen. Und auch der neue BSE-Blick ist verengt: Wie im Tunnel wird nur starr gerade aus gesehen. Auf das deutsche Rind und den deutschen Bauern. Dabei tragen Verbraucher und Regierung weltweite Verantwortung und dies nicht nur beim Fleisch.

Einige Beispiele zur Erinnerung: US-amerikanische Lebensmittelkonzerne hielten die lateinamerikanischen „Bananenrepubliken“ jahrzehntelang militärisch und politisch in Schach. Und noch heute beherrschen Chiquita, Dole und Del Monte einen Großteil der Produktion in den mitunter mehrere tausend Hektar umfassenden Monokulturen. Von der Weltgesundheitsorganisation WHO als „extrem gefährlich“ eingestufte Agrarchemikalien aus den USA, Deutschland und der Schweiz bescheren den bananeros Schäden an Augen, Haut, Magen und Leber. Die Kampfflieger gegen das Ungeziefer besprühen auch Straßen, Spielplätze und Wohnsiedlungen.

Auch bei der Orangenernte werden Menschenrechte verletzt: Auf den endlosen Plantagen Brasiliens pflücken zum Teil Kinder, was dann als Orangensaftkonzentrat nach Europa verschifft wird. Ein erwachsener brasilianischer Pflücker erhält im Schnitt ein Hundertstel von dem, was wir hier für einen Liter Orangensaft zahlen.

Seit Christoph Kolumbus im Jahr 1502 einen Sack Kakaobohnen auf dem spanischen Königshof ablud, ist Schokolade die beliebteste Süßspeise Europas. Jeder Deutsche isst jährlich zehn Kilogramm reine Schokolade, das sind zwei Tafeln die Woche. In der brasilianischen Kakaoregion südlich von Bahia, wo drei Millionen Menschen von der Kakaoernte leben, müssen Plantagenarbeiter für 30 Mark in der Woche die 60 Grad heiße Kakaomasse auf der „Estufa“, dem Trockenofen, klumpenfrei treten. Barfuß. An die Elfenbeinküste, wo fast die Hälfte der Weltkakaoernte herkommt, werden acht- bis vierzehnjährige Kinder aus Burkina Faso und Mali in die Schuldknechtschaft verschleppt. Wer die Qual nicht mehr aushält und flieht, wird verprügelt oder umgebracht. Seit das EU-Parlament im letzten März die Senkung des Kakaobutteranteils in der Schokolade um fünf Prozent des Gesamtgewichts bewilligt hat, haben Kleinbauern, die derzeit noch 85 Prozent des Markts abdecken, noch weniger Überlebenschancen. Die Produktionsländer rechnen mit einem Verlust von 530 Millionen US-Dollar.

Auch in Europa werden Menschenrechte in der Nahrungsmittelproduktion verletzt. In der südspanischen Provinz Almería werden mit EU-Förderungen Gurken, Paprika, Tomaten und Melonen angebaut, damit deutsche Supermarktregale auch im Winter etwas zu bieten haben. Unter 350 Quadratkilometer Plastikfolie arbeiten hier an die 25.000 Marokkaner – bei Temperaturen über 50 Grad, für 50 Mark am Tag. Die meisten von ihnen leben in Slums, besitzen keine gültigen Papiere und sind der Willkür von Arbeitgebern und Behörden ausgeliefert. Vor einem Jahr explodierte das soziale Pulverfass. Nach der Ermordung einer Spanierin durch einen Marokkaner hetzte der Mob die Nordafrikaner drei Tage lang mit Eisenstangen durch die Straßen der Kleinstadt El Ejido.

Und die deutsche Landwirtschaft? Außer BSE alles okay? Mitnichten. Auch in Brandenburg arbeiten russische Erntehelfer für einen Hungerlohn. Der konventionelle Landbau vergiftet Böden und Grundwasser, ist energieintensiv und vernichtet Arbeitsplätze. Deutscher Spinat ist längst nicht mehr gesund, weil er zu viel Nitrat enthält. Deutscher Wein übersteigt die verträglichen Sulfitwerte ums Dreifache. Eine durchschnittliche deutsche Kuh hat laut Enquete des Bundestags „mindestens das Treibhauspotenzial eines durchschnittlichen Pkws“.

Nun hat BSE – endlich! – das Essen zum Politikum gemacht. Dass über eine Ökologisierung der Landwirtschaft zumindest einmal nachgedacht wird, war längst überfällig. Die Reduktion des Fleischkonsums auf ein vernünftiges Maß ebenso. Dass Bauernverbands-Präsident Gerd Sonnleitner sich gegen die gezielte Förderung des Ökolandbaus wehrt, war zu erwarten. Wenn Sonnleitner es aber für aberwitzig hält, den konventionell arbeitenden Landwirten Subventionen zu streichen (und dabei noch behauptet, dass diese ihre Tiere auch artgerecht hielten), wird ihn irgendwann die Geschichte einholen.

Denn je länger die Politik den Konflikt mit der industriellen Landwirtschaft scheut, desto nachdrücklicher wird die Weigerung der Konsumenten sein, sich jeden Dreck vorsetzen zu lassen. BSE ist da nur der Anfang. Übrigens: Seit dem Glykolskandal, der 1985 die österreichische Weinbauern fast zugrunde richtete und zu einem radikalen Umdenken zwang, genießt der österreichische Wein internationale Anerkennung. Auch so gesehen ist BSE eine Chance.