Die Uni brennt, weil wir für Bildung brennen

Als ich 1987 zum Studieren nach Wien kam, begann auf den Universitäten gerade ein sogenannter „heißer Herbst“. In den Hörsälen wurden Protestaktionen für studentische Mitbestimmung und gegen Sparpakete diskutiert, im „Türkenwirt“ (heute TüWi) und im legendären TU-Club Transparente gemalt, und bei Demonstrationen am Ring erfuhr ich zum ersten Mal unfreiwilligen Körperkontakt mit der Polizei. Ich weiß nicht mehr, wieviele unserer Forderungen wir damals gegenüber Wissenschaftsminister Hans Tuppy durchsetzen konnten, aber ich weiß, dass die teilweise endlosen Diskussionen, die Erfahrungen mit Polizei, etablierter Politik und den konkurrierenden Studierendenfraktionen, vor allem aber die Mischung aus Aktionismus und Partystimmung mit meinen MitstreiterInnen meine politische Menschwerdung erheblich beeinflusst haben.

Dabei war die Situation damals im Vergleich zu heute überaus gemütlich: Keine Studiengebühren, keine Telefongrundgebühr, Freifahrt mit den Öffis, ja sogar regelmäßig gratis Heimfahren zum Wäschewaschen bei Muttern war möglich, und mit dem Studieren ließ ich mir: Zeit. Ich habe mir schlicht und einfach keinen Stress gemacht, das Studium dann dennoch abgeschlossen und danach, so wie die meisten meiner FreundInnen (auch jene, die bis heute noch keine Diplomarbeit haben) einen interessanten und herausfordernden Job gefunden. Es ist, wie man so sagt, was aus mir worden, und zwar vielleicht sogar mehr als aus vielen jener, die uns bei den Demos stereotypartig zugeraunt haben: „Geht’s wos orbeiten“.

Herzensbildung

Warum ich das sage? Weil diese Zeit, die Seminare und Vorlesungen genauso wie das Laissez-faire, die enorme Freiheit in der Entscheidungsfindung über Inhalte und Zeiteinteilung, die gemeinsamen Aktionen, Reibereien, Diskussionen und Feiern und vor allem die vielen Sozialkontakte den wahrscheinlich wesentlichsten Anteil zu meiner späteren „Karriere“ als freier, selbständiger Mensch beigetragen haben, obwohl (oder weil) ich meinen Magister nie und die Vorlesungsinhalte später kaum beruflich nutzen konnte oder musste. Die Uni war für mich nicht Ausbildung, sondern mehr oder weniger zweckfreie Bildung – auch Herzensbildung.

Und ich hätte ehrlich gesagt in letzter Zeit nicht mehr damit gerechnet, dass ausgerechnet die angeblich so unpolitische, unter dem Druck von Verwertungskategorien stehende „Generation Praktikum“ genau für das kämpfen würde: Für freien Zugang zu Bildung für alle, gegen den neoliberalen Verwertungszwang, für eine gerechte Verteilung der gesellschaftlichen Reichtümer, gegen Konkurrenz- und Leistungsdruck.

Reclaim the Streets

Und schlichtweg von den Socken bin ich, wie schnell das alles gegangen ist: Dass sich da innerhalb kürzester Zeit ameisen- und netzwerkartig Tausende selbst und ohne Direktive von „oben“ organisieren und öffentlichen Raum besetzen: das Audimax und andere Hörsäle, Straßen und Ministerien, aber virtuelle Räume wie Facebook, Twitter, Livestream und damit einen demokratischen öffentlichen Diskurs über demokratische öffentliche Räume und demokratische öffentliche Bildung erzwingen und damit erst möglich machen. „Wessen Bildung? Unsere Bildung! Wessen Straße? Unsere Straße! Wessen Stadt? Unsere Stadt! Wessen Zukunft? Unsere Zukunft! (Und auch: Wessen Polizei? Unsre Polizei!)“ skandierten die Studierenden am Samstag in Wien. Dem ist nichts hinzuzufügen außer dem Wunsch, dass dieses lustvolle „Reclaim the Streets!“ mit ähnlicher Power auch auf andere Gesellschaftsbereiche überschwappen möge: Die politischen und zivilgesellschaftlichen Institutionen, den Diskurs über die gerechte Verteilung öffentlicher Reichtümer oder den Kampf um öffentliche Räume wie dem Augarten.

Hahnverhaltung

Der Hahn, der solche Bildungseier legt, ist gerupft. Der Exchef der ehrenwerten Gesellschaft Novomatic, der nun als Wissenschaftsminister unsere Zukunfts- und Bildungschancen verzocken will, gemahnt damit an folgende Beurteilung seiner Dissertation: „Eine Arbeit minderer Qualität, die stellenweise an das Banale und sogar Peinliche grenzt. (…) Die Schlamperei grenzt an Fahrlässigkeit. Mit Wissenschaft hat das nur als abschreckendes Beispiel zu tun.“

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