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Megaphon: „$ex“

Danke für die Aufmerksamkeit. Es ist ein bisschen billig, aber es funktioniert. Immer. Und jetzt könnte ich einfach über was anderes schreiben, aber ich bin gerade in Rio de Janeiro. Und so wie die Klischees über Österreich (Lipizzaner , Mozart, Nazis) stimmen auch die über die Karnevalsmetropole: Samba, Sex, Gewalt. Das alles gibt es hier, und zwar so exzessiv, dass es der staatlichen Tourismusbehörde Embratur schon wieder zu viel ist (wann wird`s eigentlich der Österreichwerbung zu viel?).

Jahrzehntelang pflegte Rio sein Image als Tittenhauptstadt: An der Copacabana macht der geneigte Beobachter mit Mühe den „fio dental“ (Zahnseide) genannten Bikini auf und zwischen weiblichen Rundungen aus. Und beim Karneval wippen die unterschiedlichsten Körbchengrößen im Sambatakt – unverhüllt wie der Rassismus, mit dem die Schönheit der „Mulatas“ gepriesen wird.

In Zukunft, verspricht Carlos Alberto Ferreira vom brasilianischen Reisebüroverband, werde sich die Tourismuswerbung mehr auf die landschaftlichen und kulturellen Besonderheiten Rios konzentrieren: „Keine Bilder halbnackter Frauen mehr“, so die Parole. Denn Rio ist zum Ziel von Sextouristen geworden, und die bringen keine Wertschöpfung, weil sie ihr ganzes Geld für Prostituierte ausgeben. „Steuerfrei“, klagt Ferreira.

Vanessa ist eine dieser Frauen. Sie arbeitet in der Diskothek „Help“ in unmittelbarer Nähe der großen Hotels am Strand von Copacabana. „Ich bin froh um die Touristen, ich lebe von ihnen.“ Das „Help“ wird sogar im Low-Budget-Reiseführer „Lonely Planet“ beworben – zu Vanessas Klientel gehören Rucksacktouristen mit Rasta-Zöpfchen ebenso wie Diplomaten und Geschäftsleute. Die Disco-Atmosphäre ermöglicht es auch jenen, die „so etwas“ daheim nie täten, vor lauter Begeisterung über die Freimütigkeit der Mädchen zu vergessen, dass sie dafür bezahlen. (Die Brasilianerinnen sind so nett, da könnten sich unsere Mädels echt ein Beispiel nehmen, schwärmen zuhause dann die, die „so etwas“ nie täten.)

Ihren Job findet Vanessa natürlich Scheiße, das „Help“ auch. „Was soll ich machen, ich habe zwei Kinder und keine Chance auf eine andere Arbeit“. Kürzlich hat sich ein schwedischer Kunde in sie verliebt und ihr die Heirat versprochen. Von ihren Kindern hat sie ihm nichts erzählt – die leben bei Vanessas Mutter, im bettelarmen Nordosten Brasiliens. Vanessa hofft, in Schweden genug Geld zu verdienen, um irgendwann einmal ihre Familie ernähren zu können.

Ihre Träume klingen wie die der Prostituierten Maria aus dem Bestseller „Elf Minuten“ des Brasilianers Paulo Coelho. Auch sie verschlägt es aus dem armen Hinterland zunächst nach Rio und dann in der Schweiz, wo sie letztendlich in einem Bordell landet. Es sind die Träume von Millionen von Frauen aus Ländern wie Brasilien, die nichts haben und nichts verkaufen können außer ihrem Körper – einem Körper, der von Männern aus reichen Ländern als „exotisch“ empfunden wird. Mangos, Orangen, Kaffee, Liebe – willkommen im freien Markt. Dort fällt der Wert einer Frau allerdings noch rascher als die Kaffeepreise: Die 23jährige Vanessa kriegt im „Help“ noch 150 bis 300 Reais (50 bis 100 Euro) pro Nacht. Wenn sie in ein paar Jahren nicht von ihrem Märchenprinzen gefreit worden ist, kann sie sich ein paar Straßen weiter allenfalls noch für 40 Reais feilbieten.

„Ich habe herausgefunden, warum ein Mann für eine Frau bezahlt“, schreibt Maria in Paulo Coelhos Roman in ihr Tagebuch: „Er möchte glücklich sein. Ich möchte das auch, die ganze Welt möchte das, und niemand schafft es.“