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Der Standard: „Verkehrspolitik fürs Herz?“

Sie sind gegen die Transithölle. Sie sind für Naturschutz und für die Bahn. Warum sind sie gegen den Basistunnel? – Robert Lechner und Klaus Werner über Protest und Schizophrenie.

„Daß Du mit dem Umweltschutzgedanken nicht viel anfangen kannst, ist nichts Neues. Du hast einfach dieses Empfinden nicht und es ist Dir kein Herzensanliegen.“ Schwer verbittert stellten die Autoren eines „Protest-Faxes“ den Bundessprecher ihrer eigenen Partei am Montag vor eine „Zerreißprobe“ (Kronen Zeitung). Alles nur, weil dieser in der ORF-„Pressestunde“ erklärt hatte, man sei „nach Prüfung aller Alternativen zu dem Schluß gekommen, daß der Tunnel die beste Variante ist, wenn die Wasserprobleme behoben werden“.

Die Grenzen …

Nun soll hier niemandes Umweltschutzempfinden untertunnelt werden. Umweltschutzgedanken aber, zumindest ausführlichere, führen unweigerlich zur Erkenntnis: Der Semmeringtunnel macht Sinn. Er ist nicht nur die beste Variante, er ist auch aus ökologischen Gründen so schnell wie möglich zu realisieren. Besser heute als morgen.

Warum? Vereinfacht gesagt: Weil eine halbe Stunde Fahrzeitverkürzung auf der Schiene zwischen Wien und Graz die Bahn gegenüber der bestehenden Straße mehr stärkt, als sich dies das „Umweltschutzempfinden“ vorstellen kann. Und weil im Rahmen der Europäischen Verkehrsnetze diese Konkurrenzfähigkeit ausschlaggebend dafür sein wird, ob die Bahn künftig überhaupt noch relevante Verkehrsleistungen erbringen wird.

Dabei brauchen wir uns nichts vorzumachen: Europäische Verkehrspolitik ist immer schon Wirtschaftspolitik gewesen. Österreichische übrigens auch. Wettbewerbsfähigkeit im globalen Maßstab, Wirtschaftswachstum sowie freizügiger Waren- und Personenverkehr sind der Europäischen Union als wichtigste Zielsetzungen ins Stammbuch geschrieben. Das „Transeuropäische Verkehrsnetz“ (TEN) stellt seit Maas- tricht eine verkehrspolitische Klammer in der EU dar. Diese kann unter Mitwirkung der Nationalstaaten gute (oder schlechte) Verkehrskonzepte entwickeln. Deren Umsetzung aber obliegt den Nationalstaaten. Zwar beteiligt sich die Union an der Finanzierung der TEN-Strecken. Planen und bauen müssen wir Österreicher aber selbst. Betrachtet man die entsprechenden Netzfestlegungen für Österreich, so ergibt das ein überraschendes Bild:

Mit dem Autobahnnetz ist bis auf kleinere Lückenschlüsse bereits alles in Butter. Die österreichische Realität hingegen bleibt hinter den EU-Plänen zum Ausbau der Bahn weit zurück.

… der Empfindsamkeit

Schuld daran ist nicht die immer wieder kritisierte europäische Transitpolitik, sondern Österreich selbst: Während hierzulande der Straßenbau über die Ausweitung der Kapazitäten im bestehenden Autobahnnetz nachdenken darf und diese relativ widerstandslos über die Bühne gehen, bleibt die Hochleistungsbahn Spielfeld für Regionalpolitiker, Boulevardmedien und Umweltempfinder. Für die Zukunft bedeutet dies eine Verschärfung der Verkehrsproblematik: Lkw und Pkw statt Bahn.

In der Auseinandersetzung um den Semmeringtunnel wird der Öffentliche Verkehr gegen sich selbst ausgespielt: Entweder öffentlicher Personennahverkehr oder Hochleistungsbahn, lautet die vorgeb- liche Alternative. Richtiger wäre – in Anbetracht des bestehenden Vorsprungs der Straße – ein entschiedenes Eintreten für den Ausbau beider Systembestandteile des Öffentlichen Verkehrs.

Die Diskussionsbeiträge mancher Umweltschützer zum Semmeringtunnel sind daher mehr als schizophren. Einerseits will man die „Transitflut“ auf Österreichs Straßen eindämmen, andererseits wird der Bahnausbau kampagnenartig hinausgezögert. Und um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, wird nicht weit vom geplanten Bahnloch ohne große Diskussionen ein Straßenloch gebohrt. Wo ist hier das Umweltempfinden?

Eine der wichtigsten Voraussetzungen, um in eine europäische Dimension umweltverträglicher Mobilität vorzudringen, ist ein leistungsfähiges Schienennetz. Der Semmeringbasistunnel ist lediglich ein Teil davon. In Anbetracht der noch fehlenden weiteren Bestandteile muß man sich vor soviel Empfindlichkeit fast fürchten.